Seit einem Monat ist der Dorstener Fußballer Hendrik Gottschalk nun im chinesischen Xiangtan, um dort für die Agentur „Spielkultur“ des früheren Bochumer Bundesliga-Torwarts Thomas Ernst Fußballcamps zu leiten und in der Trainerausbildung zu arbeiten. Elf weitere Monate folgen – und wenn Gottschalk in denen ähnlich viel erlebt, wie im ersten, dann wird er Mühe haben, seine Eindrücke jemals komplett zu schildern. Sie reichen schon jetzt von vergeblichen Versuchen, Chinesisch zu lernen, fehlenden Zentralheizungen und spendablen Rauchern über vollgestopfte Portemonnaies und chinesische Sonntagsfahrer bis zu unverhofften Hochzeits-Ständchen und wilden Motorradfahrten. 

Ich weiß selbst nicht, wo ich anfangen soll“, sagt der Entwicklungshelfer in Sachen Fußball, der Marco Pöhlo aus Dorsten, über die Vielfalt seiner Eindrücke. Als Europäer fühlt sich Gottschalk wie ein Exot: „Die Menschen hier in Xiangtan haben hier noch nicht allzu oft einen Europäer gesehen, anders als in den großen Metropolen Chinas. Wenn die Leute einen auf Veranstaltungen um Fotos oder Autogramme bitten und einen ständig angrinsen und einem sagen, wie gut man denn aussehe, ist das schon manchmal beängstigend. Auf der Straße schauen einen die Leute mit offenem Mund an, starren einen an oder zeigen mit dem Finger auf einen. Man fühlt sich dabei teilweise wie ein Mix aus einem Star, einer vom aussterbenden bedrohten Tierart und einem Außerirdischen.“ 

Viele Meetings, scharfes Essen

Über mangelnde Arbeit kann sich Gottschalk nicht beschweren. Gleich am Tag seiner Ankunft geht es weiter ins vier Auto-Stunden entfernte Changde. Bei einer Charity-Veranstaltung vor 700 Gästen muss der Deutsche zusammen mit seinem nigerianischen Kollegen Sunny auf die Bühne und dort mit sechs Kindern ein kleines Showtraining zeigen. Neben dem regelmäßigen Training an Schulen, Elite-Training an den Wochenenden und dem Organisieren von Turnieren besteht die Woche aus jeder Menge Meetings und der fortwährenden Suche nach Sponsoren. 

Auch an die chinesische Küche muss sich der Neuankömmling gewöhnen. „Die Stadt Xiangtan steht für sehr scharfes Essen, was ich generell sehr gerne mag“, erzählt Gottschalk, „doch leider wird hier alles in Öl eingelegt bzw. sehr viel Öl fürs Kochen benutzt. Mein Magen muss sich daran erstmal gewöhnen. Getrunken werden hier Bier und Bai Jiu. Die Chinesen nennen es Likör, es hat aber mehr als 50 Prozent Alkohol… Und dann heißt es ,Gan bei‘ − wörtlich: Lehrt die Gläser! Durchaus lustig.“ 

Überall wird geraucht

Dass überall geraucht wird, überrascht Nichtraucher Gottschalk. Dass die höflichen Chinesen ihm alle ihre Zigaretten anbieten, nervt ihn: „Weltklasse“, meint er mit Galgenhumor. Dafür hat er gelernt, das deutsche Verkehrswesen zu schätzen: „Alter Schwede. Ich werde mich niemals mehr darüber aufregen, dass Deutschland so viel Geld in die Infrastruktur investiert. Die Straßen hier, vor allem, wenn man die Stadt verlässt, sind teilweise eine echte Zumutung. Zum anderen werde ich mich nie mehr über Sonntagsfahrer beschweren. Ich kann den Verkehr hier gar nicht beschreiben. Ich sage euch nur eins: Genießt den Straßenverkehr in Deutschland und regt euch weniger auf. Als Fußgänger ist man hier die ärmste Socke. Grüne Ampel und Zebrastreifen bedeutet, gucke während der Straßenüberquerung nach links und rechts. Auf großen Kreuzungen sind Leinwände wo gezeigt wird, wie Leute umgefahren werden, die beim Überqueren nicht aufmerksam sind.“ 

In die Berge von Yangshuo

Der Verkehr spielte auch eine Hauptrolle bei Gottschalks Ausflug über das chinesische Neujahrsfest. „Da passiert vom 7. bis 13. Februar beruflich wirklich nichts. Jeden Abend Feuerwerk. Das ganze Land reist zur Geburtsstätte oder besucht Freunde. Die Preise steigen radikal um das Drei- bis Vierfache.“ 

So beschloss Gottschalk, mit seinem Kollegen AJ eine Tour in den Süden Chinas zu machen. Zwölf Stunden dauerte die Fahrt mit Zug und Bus bis nach Yangshuo. „Aber“, so Gottschalk, „es hat sich gelohnt.“ 

Zwei Tage lang leihen sich AJ und er Mountainbikes und erkunden die Umgebung. „Was ich dort landschaftlich gesehen habe, werde ich so schnell nicht vergessen“, schwärmt der Dorstener: „Eine unglaubliche Landschaft, unfassbar viele Berge und dazu der Li-River.“ 

Das, die Bar in ihrem Hostel und die Freundlichkeit von dessen Besitzern machen die spartanische Ausstattung der Unterkunft mehr als wett. Doch zum Highlight des Trips wird die Rückreise. 

Auf dem Bahnhof von Guilin checken Gottschalk und Aj ähnlich wie auf einem Flughafen ein, bis AJ merkt, dass die beiden im falschen Bahnhof sind. Der richtige? Ist eine Stunde mit dem Taxi entfernt, doch der Zug fährt schon in 30 Minuten. „Auf einmal tauchten zwei Männer hinter uns auf, die uns aufforderten, hinter ihnen her zu rennen, rief mir AJ auf Englisch zu. Er spricht und versteht akzeptables Chinesisch. Ich wusste natürlich nicht, was diese Männer wollten bzw. was der Plan war. Nach kurzem Sprint war dann klar: Es waren Motorradfahrer. Koffer hinten festgespannt, Rucksack und Kamera inklusive Decke in die Hand und los ging die wohl wildeste Motorrad-Fahrt meines Lebens. Über die Straßen, in den Gegenverkehr − was durchaus normal ist − über Schleichwege, selbstverständlich ohne Helm. Nach mehrmaligen Vater Unser und knapp 30 Minuten später erreichten wir tatsächlich den richtigen Bahnhof.“ 

Unverhofftes Hochzeits-Ständchen

Doch es geht auch noch verrückter. Eines Morgens wird Hendrik Gottschalk angerufen: Ein Meeting sei dazwischen gekommen. Also: „Schnell in die zerrissene Jeans, Longsleeve drüber, Cap auf und ab in die Nikes. Für ein Meeting sollte das ja alle mal langen“, denkt sich Gottschalk. Nach einer 20-minütigen Fahrt ist er am Ziel: „Ein großes Tor öffnete sich, schon beeindruckend, aber nicht unbedingt ungewöhnlich. Die Gegend war sehr schön. Wir betraten eine große Eingangshalle. Ein Brautpaar grüßte freundlich und auch ich begrüßte sie freundlich mit ‚Ni hao‘. Ich dachte mir dabei immer noch nichts. Doch nachdem wir dann in den großen Saal gingen, wo ca. 500 Leute saßen und Mr. Jin, der Chef unserer Partner-Agentur Shining Star, auf mich wartete, machte es Klick. Das Meeting war eine Hochzeit von einer hohen Persönlichkeit in Xiangtan.“ 

Damit nicht genug: „Nach zehn Minuten kam mein Kollege Sunny, ebenfalls überrascht, in Jogginghose zur Hochzeit. In Deutschland unvorstellbar, in China freute man sich über die ,Foreigner‘.“ Und die Geschichte ging noch weiter: „Kurz nachdem wir zum ersten Mal angestoßen haben, mussten Sunny und ich dann auf die Bühne und ein Lied fürs Brautpaar singen. Sunny hat das mit Bravour gemeistert, ich war eher der Background Tänzer…“ 

Im Sommer nach Beijing

Es wird nicht die letzte Erfahrung sein, die Hendrik Gottschalk in China machen wird – und er freut sich darauf: „Ich habe gemerkt, dass ich mich sehr schnell an neue Gegebenheiten anpassen kann. Ein sauberes Plumpsklo ist gar nicht so schlimm“, lacht er und er weiß: „Ich weiß jetzt schon, dass ich nach einem Jahr China viele Kleinigkeiten in Deutschland mehr schätzen werde.“ Der nächste Erkundungstrip nach Beijing und zur Chinesischen Mauer ist aber natürlich für den Sommer auch schon geplant.